Interview mit Lothar de Maizière
Berlin,
Die Kriegslogik Putins ist nicht zu rechtfertigen, aber seine Sicht, vom Westen nicht ernstgenommen zu werden, wird in Russland von vielen geteilt. Lothar de Maizière erklärt im Cicero-Interview seinen Versöhnungsansatz für gescheitert, meint aber auch: Man hätte die russischen Interessen mit einbeziehen müssen.
Lothar de Maizière, Rechtsanwalt und CDU-Mitglied, war von April bis Oktober 1990 der erste demokratisch gewählte und zugleich der letzte Ministerpräsident der DDR. In dieser Funktion verhandelte er den Zwei-Plus-Vier-Vertrag zwischen Deutschland und den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs mit. Er war Vorsitzender des Lenkungsausschusses des von Gerhard Schröder und Wladimir Putin ins Leben gerufenen Gesprächsformats Petersburger Dialog.
Herr de Maizière, Wladimir Putin greift die Ukraine an und bringt Krieg zurück nach Mitteleuropa. Haben Sie damit gerechnet?
Durch die Entwicklungen in den zurückliegenden Jahren habe ich eine solche Eskalation befürchtet!
Sie haben 1990 den Zwei-Plus-Vier-Vertrag zwischen Deutschland und den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs für die DDR mitverhandelt und in Moskau persönlich unterzeichnet. Der Vertrag verstand sich als „Beitrag zur Friedensordnung in Europa“. Inwieweit haben Sie sich vorstellen können, dass Russland wieder zum Aggressor werden könnte?
Was heißt „wieder zum Aggressor“? Mit der deutschen Einheit ging der Kalte Krieg zu Ende. Es gab sogar Historiker, die glaubten, dass wir am Ende der Geschichte angelangt sind. So naiv war ich damals nicht, aber tatsächlich war ich voller Hoffnung, dass die Welt friedlicher wird.
Wurde damals der russischen Seite zugesichert, dass es eine Osterweiterung der Nato nicht geben werde?
Ich weiß, dass der bundesdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher dem sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse mündlich eine solche Zusage machte.
Wurde es damals versäumt, eine europäische Friedensarchitektur jenseits der Nato zu schaffen, die Russland mit einbezieht?
Die Sicherheit Russlands stand nicht im Fokus der Gespräche. Die Russen haben hierzu nichts vorgetragen und auch keine Einbeziehung dieser Fragen in die Zwei-Plus-Vier-Gespräche gefordert.
Ist der Westen in den zurückliegenden Jahrzehnten – auch wenn dies in keiner Weise eine Rechtfertigung für einen Angriffskrieg wäre – zu wenig auf die Sicherheitsinteressen Russlands eingegangen?
Putin wurde nicht müde, immer wieder seine eigenen Interessen zu erklären und eine russische Sichtweise vorzutragen, doch der Westen hat nicht zugehört. Der Westen hat sich zu wenig um die russische Sicht gekümmert, weil er sie nicht wahrhaben wollte.
Sie sind mit vielen Russen auch freundschaftlich verbunden, darunter auch mit dem ehemaligen Präsidenten Michail Gorbatschow. Wieviel Verständnis gibt es für die Kriegslogik Putins?
Ich habe kein Verständnis für die Kriegslogik Putins. Aber die Russen, die ich kenne und mit denen ich spreche, sind überwiegend der Meinung, sie werden im Westen nicht wirklich ernst genommen, ihre Sorgen werden nicht gehört. Und diese russische Sichtweise wird eben nicht nur von Putin und seinem Umfeld vertreten, wie manche im Westen meinen. Sondern weite Kreise der russischen Gesellschaft denken so, dass Russland mit seiner Weltsicht mehr Respekt verdient habe und seine Lebensweise auch verteidigen müsse.
Sie waren Vorsitzender des von Gerhard Schröder und Putin ins Leben gerufenen Petersburger Dialogs zur Verständigung mit Russland – und wurden von Bundeskanzlerin Merkel abgesetzt. Waren Sie im Nachhinein gesehen doch zu verständnisvoll gegenüber Putin?
Ich glaube, ich war tatsächlich damals zu gutgläubig gegenüber Russland. Ich schätze und liebe Russland, die Menschen und die russische Kultur. Aber mein Versöhnungsansatz wurde letzten Endes verraten. Ich habe das Gefühl, Russland verhält sich wie eine gekränkte Geliebte. Trotz allem muss man diese vielleicht auch befremdlichen Befindlichkeiten in alle Überlegungen mit einbeziehen.
Was für einen persönlichen Eindruck haben Sie von Putin? Wäre er wirklich zu besänftigen gewesen?
Aus heutiger Sicht kann ich sagen, er wäre wohl nicht zu besänftigen gewesen. Er will sich offensichtlich mit seinem kriegerischen Handeln ein Denkmal setzen.
Was empfehlen Sie der Bundesregierung jetzt?
Es ist nicht meine Aufgabe, der Bundesregierung Empfehlungen zu geben.
Die Fragen stellte Volker Resing. Der BWA dankt der Cicero-Redaktion für die freundliche Genehmigung zum Nachdruck.
Erstveröffentlichung: Russland und der Ukraine-Krieg - „Der Westen hat nicht zugehört“ | Cicero Online.