Silvana Koch-Mehrin plädiert für die europäische Idee und mehr Geduld, OB Marcel Philipp appelliert: Grenzen wegdenken
Aachen,
Der BWA - Int. Wirtschaftsclub Aachen-Düren lud zu einer Talk- und Diskussionsveranstaltung ins Forum-M der Mayerschen Buchhandlung in Aachen ein. Der prominenteste Gesprächsgast des Abends, Silvana Koch-Mehrin, Mitglied des europäischen Parlaments in Brüssel, referierte über „Europapolitik und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft im vernetzten Deutschland“. Die FDP-Politikerin und Mitglied der liberalen Fraktion in Brüssel stellte sich anschließenden Thesen und kritischen Fragen der Gesprächspartner aus Bereichen der Steuerpolitik, Finanz- und Energiewirtschaft. Silvana Koch-Mehrin bot einen Einblick in die Entscheidungsprozesse im Europäischen Parlament. Die Kernfrage „Welche Rolle spielt Europa in der Weltwirtschaft?“ sei täglich neu zu hinterfragen. Dieser Standpunkt verschiebe sich permanent aufgrund sich ändernder Verhältnisse bei demografischen Kennzahlen, Ressourcen der Bodenschätze und einer dynamischen Entwicklung der Wirtschaftsregionen.
vorne v.r.: Marcel Philipp, OB Stadt Aachen, Kai-Uwe Schmidt, Vorstand Commerzbank AG Mittelstandsbank Niederrhein, Silvana Koch-Mehrin, MdEP, Larsen Lüngen, ECOVIS GmbH, Peter Nußbaum, BWA-Landesgeschäftsführer Rheinland-Pfalz und Saarland; hinten v.r.: Hans Joachim Bertrams, Vizepräsident IWC Aachen-Düren, Sibylle Nußbaum, Geschäftsführerin BWA-NRW, Christoph Kleuters, Präsident IWC Aachen Düren, Jakob Wöllenweber, Vorstand Alliander AG
Der Lissabon-Vertrag schaffe zwar rechtliche Rahmenbedingungen, trotzdem dauerten Einigungsprozesse immer noch zu lange, oft mehrere Jahre. Dies sei ein Aspekt, der ihr persönlich nicht gefalle. Politische Störfeuer einzelner Mitgliedesländer seien leider an der Tagesordnung und stellten zu oft die Bemühungen der Delegierten für ein zügiges Abkommen in Frage.
„Ich bin sehr froh darüber, dass EU-Themen es heute auf die Titelseiten der Tageszeitungen schaffen,“ sagte Koch-Mehrin. „Das ist eine große Chance, dass Europapolitik endlich als Innenpolitik verstanden wird.“ Dass die Abstimmungsprozesse in einer immer größer werdenden EU nicht einfacher würden, sei jedoch klar. Auch müsse man manche frühere Entscheidung kritisch hinterfragen und Fehler zukünftig beheben.
„Der beste Ort der Welt“
„Aber warum lohnt es sich für Europa zu kämpfen?“ fragte sie und lieferte die Antwort gleich nach, „weil es der beste Ort der Welt ist.“ Im Rest der Welt steht Europa für Wohlstand und soziale Sicherheit. Europa habe ein hohes Maß an Grenzsicherheit und sei eine Friedensmacht. Deshalb kämen Menschen aus allen Regionen der Welt nach Europa, weil es lebenswert sei. Mit einem persönlichen Beispiel veranschaulichte sie, dass vor circa 80 Jahren heutige multikulturelle Verflechtungen so nicht denkbar gewesen wären. Die EU sei eine Schicksalsgemeinschaft und wir müssten alle ein bisschen mehr Geduld auf dem langen Weg der Einigungsprozesse haben.
Die anschließenden Impulsreferate nutzten Jakob Wöllenweber, Vorstand der alliander AG für den Energiesektor und Kai-Uwe Schmidt, Vorstand der Commerzbank Mittelstandsbank Niederrhein AG Mönchen- Gladbach für den Finanzbereich. Sie diskutierten nationale Aspekte ihrer Branchen im Kontext internationaler Zusammenhänge in Europa.
Larsen Lüngen, Kanzleileiter der ECOVIS Steuer- und Wirtschaftsprüfer GmbH konnte in der Reiterstadt Aachen ein kurioses, aber auch amüsantes Beispiel aus der europäischen Steuerpolitik in die Diskussion bringen. Frage: Kann ein Wallach Deckleistungen erbringen? – Er kann, durch Nichterbringung der Leistung, und diese wird in den EU-Staaten noch unterschiedlich besteuert.
In der offenen Diskussionsrunde positionierte Oberbürgermeister Marcel Philipp den Standort Aachen als Energie-Kompetenzzentrum. Hohe Hürden würden jedoch einen Austausch der neuer Technologien in Europa erschweren. Er appellierte daran, Grenzen wegzudenken und globale Lösungen zu entwickeln. Christoph Kleuters, Präsident des Int. Wirtschaftsclubs Aachen-Düren brachte die Diskussion auf das Thema „Made in Germany“, bei dem es um Änderungen des Urheberschutzes von Zuliefererteilen in der Industrie geht. Auf die Frage des Moderators nach ihrer Einschätzung der Rolle des neuen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz äußerte Koch-Mehrin großen Respekt vor seiner Person. „Obwohl Martin Schulz aus einem anderen politischen Lager kommt, traue ich ihm zu, sich nachhaltig in Prozesse einzumischen, dem Parlament mehr Gewicht zu verleihen und so einen wichtigen Beitrag zu leisten“.
Nach dem Podiums-Talk wurde der Abend mit guten Gesprächen aller Gäste bei einem Imbiss fortgesetzt. (KR)