„Junge Leute möchten sich voll und ganz mit ihrem Arbeitgeber identifizieren“

Prof. Lothar Abicht und Thomas Sapper glauben, dass die Anforderungen der „Generation Y“ zu einer insgesamt humaneren Arbeitswelt führen

Berlin,

4,9 Prozent – Deutschland glänzt mit der niedrigsten Arbeitslosenquote in ganz Europa. Die Gesamtzahl der Arbeitslosen ist so niedrig wie zuletzt 1991. Während Arbeitnehmer von dem stabilen Arbeitsmarkt profitieren, wird die Bewältigung des zunehmenden Fachkräftemangels für immer mehr Unternehmen zu einem ernsthaften Problem. Mehr als eine halbe Millionen Stellen sind in deutschen Unternehmen derzeit unbesetzt. Jedes dritte Unternehmen sieht seine wirtschaftliche Entwicklung gefährdet, weil passende Fachkräfte fehlen.

Im Dialog erörtern Prof. Lothar Abicht, Vizepräsident des Bundesverbands für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA) sowie Leiter der BWA-Kommission „Bildung und Fachkräftesicherung“, und Thomas Sapper, BWA-Vizepräsident sowie Vorstandsvorsitzender der DFH Deutsche Fertighaus Holding AG, wie sich Unternehmen im härter werdenden Wettbewerb um Fachkräfte erfolgreich positionieren können.

 

links: Prof. Dr. Dr. h.c. Lothar Abicht, rechts: Thomas Sapper © Foto rechts DFH


Prof. Lothar Abicht: Immer wieder keimt in der Öffentlichkeit und in den Medien die bange Frage auf, ob die deutsche Wirtschaft vor einem akuten Fachkräftemangel steht oder nicht. Tatsache ist, dass viele Unternehmen bereits heute Probleme haben, die nötigen Fachkräfte zu finden. Prognosen zeigen, dass diese Schwierigkeiten als Folge des demografischen Wandels zukünftig deutlich zunehmen. Es gibt in Zukunft viele Arbeitsplätze, aber deutlich weniger Arbeitskräfte. Insbesondere qualifizierte Fachkräfte entwickeln sich zunehmend zum knappen Gut. Es liegt also nahe, dass sich Unternehmen mit der Frage auseinandersetzen, wie sie Fachkräfte für sich gewinnen möchten.

Thomas Sapper: Unternehmen müssen heute auf vielen Ebenen attraktiv für potenzielle Arbeitnehmer sein. Junge Leute achten bei ihrer Berufswahl nicht mehr in erster Linie auf ihre Gehaltsaussichten oder die Aufstiegsmöglichkeiten im Unternehmen. Auch die langfristige Arbeitsplatzsicherheit spielt nicht mehr eine so große Rolle. Mit anderen Worten: Was ganzen Generationen von Arbeitnehmern früher noch wichtig war, reicht den heutigen Berufsstartern aus der „Generation Y“ längst nicht mehr. Darauf muss man sich als Unternehmen einstellen. Wir sehen zum Beispiel ganz deutlich, dass sich junge Leute voll und ganz mit ihrem Arbeitgeber identifizieren möchten. Das gesellschaftliche Ansehen des Unternehmens, für das sie jeden Tag arbeiten, ist ihnen sehr wichtig.

Prof. Lothar Abicht: Die Suche nach einem Arbeitgeber, auf den man stolz sein kann, gab es schon immer. Die meisten Arbeitnehmer sind in der Vergangenheit jedoch Kompromisse eingegangen. Gezwungenermaßen. Kaum jemand hätte noch vor zehn Jahren seine berufliche Laufbahn aufs Spiel gesetzt, nur weil der Arbeitgeber nicht in allen Punkten den eigenen Wertvorstellungen entsprach. Das ändert sich derzeit jedoch gravierend: Die Nachfrage nach qualifiziertem Personal ist so hoch, dass sich Fachkräfte sehr genau ein Unternehmen aussuchen können, welches zu ihren eigenen Ansprüchen und Erwartungen passt. Die Zugehörigkeit zu einem sozial anerkannten Unternehmen, dessen Grundwerte mit den eigenen Ansprüchen übereinstimmen, gewinnt dabei stark an Bedeutung. Für immer mehr junge Leute ist diese Identifikation Voraussetzung dafür, gern zur Arbeit zu gehen.

 

 

Thomas Sapper: Als nachhaltig orientiertes Unternehmen erfüllen wir sehr viele gesellschaftliche Wertvorstellungen, die in den vergangenen Jahren in den Vordergrund gerückt sind. Unsere Häuser sind ökologisch und energieeffizient, mit zum Teil wissenschaftlich begleiteten Projekten treiben wir das nachhaltige Bauen in Deutschland voran. Insbesondere mit unseren Ausbauhäusern leisten wir einen Beitrag dazu, dass mehr Familien Eigentum zur Altersvorsorge erwerben können. Bereits seit Jahren engagieren wir uns zudem regional bei Bildung, Kultur und Sport und genießen als sozial engagiertes Unternehmen einen guten Ruf. Aber auch all das reicht allein nicht aus. Der Wertewandel betrifft auch das Arbeitsleben selbst: Ohne ein grundsätzlich attraktives Arbeitsumfeld, eine ausgewogene Work-Life-Balance, verschiedene Weiterbildungsangebote, ein umfassendes Gesundheitsmanagement, einen durch gemeinsame Aktionen gestärkten Teamgeist und ein insgesamt angenehmes Arbeitsklima haben sie es als Unternehmen schwer, bei jungen Fachkräften zu punkten. Das haben wir bei der DFH zum Glück bereits vor einiger Zeit erkannt und uns entsprechend darauf eingestellt.

Prof. Lothar Abicht: Wenn die sogenannte „Generation Y“ heute auf einen Freizeitausgleich und ein gesundes Arbeitsklima achtet, handelt sie äußerst rational. Denken wir nur an die Rente mit 67 Jahren. Wer so lange arbeitsfähig sein soll, muss mit seinen Kräften haushalten, auf seine Gesundheit achten und regelmäßig sein Wissen auffrischen. Genau diese Dinge fordern junge Arbeitnehmer heute im Prinzip ein. Und das ist ja eigentlich auch sehr vernünftig. Frühere Arbeitnehmergenerationen haben nicht so bewusst auf sich geachtet. Insbesondere das Dauerthema Burnout hat uns in den vergangenen Jahren jedoch die Kehrseiten von Karrierestreben, Erfolgsdruck und Dauerstress vor Augen geführt.

Thomas Sapper: Und Unternehmen haben in der vergangenen Zeit gesehen, dass es nicht sonderlich nachhaltig gedacht ist, Arbeitnehmer dauerhaft zu stark zu belasten. Überlastungen und ein angespanntes Betriebsklima führen sehr oft letztlich zu langfristigen Krankheitsausfällen oder dazu, dass gute Fachkräfte dem Unternehmen den Rücken zukehren, sobald sich ihnen eine Gelegenheit dazu bietet. So oder so haben Unternehmen, die ihre Arbeitnehmer nicht wertschätzen und bei der Arbeitsbelastung das richtige Maß verfehlen, letztlich das Nachsehen. Jeder Euro, den Unternehmer dagegen in den Aufbau einer gesunden Unternehmenskultur stecken, ist gut investiertes Geld. Zufriedene und gesunde Arbeitnehmer bringen Unternehmen mit ihrem Engagement, ihrem Know-how und ihren Ideen voran. Dafür haben sie auch eine hohe Wertschätzung verdient.

Prof. Lothar Abicht: Grundsätzlich sollten alle Unternehmen die Wertvorstellungen und Impulse der „Generation Y“ nutzen, um eine insgesamt humanere Arbeitswelt zu schaffen. Im Prinzip haben Arbeitgeber auch keine andere Wahl, denn sie sind auf die jungen Arbeitnehmer angewiesen und müssen sich daher ihren Anforderungen beugen. Klar, viele der Erwartungen kollidieren stark mit den bisherigen Verhältnissen in Unternehmen und den Gewohnheiten von Mitarbeitern und Führungskräften der mittleren und älteren Generation. Neu ist vielen Ausbildern mit langjährigen Erfahrungen beispielsweise die Erwartung einer ausgeprägten Lobkultur. Galt früher oft noch der schwäbische Grundsatz „Nicht geschimpft, ist genug gelobt“, wünschen sich junge Leute heute eine stetige Anerkennung ihrer Arbeit. Sie sind schlicht so erzogen und haben bislang in Elternhaus, Schule oder Sportverein immer eine Rückmeldung zu erhalten. Auch diese Lobkultur ist ja grundsätzlich nicht negativ zu sehen ist und kann erheblich zu einer gesunden Arbeitsmotivation beitragen.

Thomas Sapper: Wer sich den Werten der jungen Generation verweigert, verliert mittel- bis langfristig das Rennen um qualifizierte Fachkräfte. Manche Unternehmen müssen in Zukunft innerhalb weniger Jahre 30 bis 50 Prozent der altersbedingt ausscheidenden Mitarbeiter ersetzen. Auch der technologische Wandel oder Expansionspläne zwingen viele Unternehmen dazu, nach neuen Mitarbeitern zu suchen.

Prof. Lothar Abicht: Diese Suche ist aber nicht etwa mit einer Stellenanzeige erledigt. So einfach gelingt es bereits heute vielen Unternehmen kaum noch, ausreichend Fachpersonal zu finden. Unternehmen müssen viel frühzeitiger und über verschiedene Kanäle auf potenzielle Bewerber zugehen.

Thomas Sapper: Insbesondere in ländlichen Regionen wie in unserem Fall dem Hunsrück ist es wichtig, als möglicher Arbeitgeber bereits während der Schulzeit den Kontakt zu jungen Leuten aufzubauen. Wenn Unternehmen bei Schülern über die Jahre hinweg präsent sind und Schülern speziell in den letzten Schuljahren konkrete berufliche Perspektiven aufzeigen, sind sie auch bei der Berufswahl im Rennen. Sind potenzielle Fachkräfte dagegen erst einmal weggezogen und in großen Ballungsräumen sesshaft geworden, holt man sie nur mit größter Mühe wieder in ländliche Regionen zurück. Und was ein starker Wegzug der Mittelschicht für die Zukunftsentwicklung einer ländlichen Region bedeutet, dürfte bekannt sein. Hier möchten wir mit der DFH gegensteuern, Brücken bauen, begeistern, Möglichkeiten darlegen. Daher gehen wir regelmäßig in die Schulen. Mit allen regionalen Realschulen haben wir Patenschaften, die wir aktiv leben. Die Schüler kommen beispielsweise mal für einen Tag zu uns und lernen den Arbeitsalltag in einem Fertighausunternehmen kennen. Oder wir machen mit unseren Auszubildenden Projekte vor Ort und bauen etwa mit den Schülern einen Holzpavillon auf dem Schulhof.

Prof. Lothar Abicht: Das sind gute Ansätze, frühzeitig die Identifikation mit einem Unternehmen zu stärken. Prinzipiell ist es für Unternehmen wichtig, die eigenen Stärken zu bestimmen und diese gezielt zu vermitteln. Die besten Botschafter sind dabei oft die eigenen Mitarbeiter.

Thomas Sapper: Das stimmt, damit haben wir gute Erfahrungen gemacht. Wir haben zum Beispiel mit einigen unserer Auszubildenden Filme gedreht, in denen sie kurz selbst ihren Ausbildungsberuf vorstellen. Niemand kann das schließlich so authentisch wie sie. Diese Filme, die wir über YouTube, Facebook und Co. verbreiten und auf Ausbildungsmessen verteilen, kommen bei jungen Schülern besonders gut an, weil wir sie damit letztlich auf Augenhöhe ansprechen.

Prof. Lothar Abicht: Auch die stetige Kommunikation des gesellschaftlichen Engagements, ein stimmiger Auftritt in den traditionellen Medien sowie die durchdachte Präsenz in sozialen Netzwerken sind wichtige Einzelbausteine. Unternehmen, die hier schwach aufgestellt sind, lassen viele Chancen bei der Mitarbeitergewinnung ungenutzt.

Thomas Sapper: Unser Anspruch ist eine direkte und offene Kommunikation – ob im Internet oder im direkten Gespräch. Wir reden über das, was wir tun. Intern und extern. So ist unser unternehmerisches Handeln jederzeit nachvollziehbar. Jeder Mitarbeiter weiß, was wir bewegen möchten und was unsere Werte sind. Außerdem lassen wir unsere Mitarbeiter mitgestalten. Veränderungen, neue Schwerpunkte oder Strategien etwa müssen alle Beschäftigten mittragen, sonst erzeugt man damit nur Frust. Diese transparente Unternehmenskultur schätzen unsere Beschäftigten sehr. Das zeigt sich nicht zuletzt auch an unserer starken Mitarbeiterbindung. Mit weniger als zehn Prozent seit der Unternehmensgründung ist unsere Fluktuationsrate sehr gering.

Prof. Lothar Abicht: Das spricht in der Tat für eine hohe Zufriedenheit der Beschäftigten. Im bundesdeutschen Durchschnitt liegt die Fluktuationsrate in Unternehmen bei etwa 14 Prozent. Und sie könnte sich in Zukunft noch erhöhen, denn für die „Generation Y“ steht ein häufiger Arbeitsplatz- und Unternehmenswechsel an der Tagesordnung. Den Wunsch, möglichst das gesamte Berufsleben lang eine Karriere in einer Branche, vielleicht sogar bei einem einzigen Arbeitgeber zu verfolgen, gibt es bei jungen Arbeitnehmern in der Regel nicht mehr. Auszubildende und Hochschulabsolventen wissen heute, dass der technologische Wandel schnell voranschreitet und Berufsbilder sowie Anforderungen sich stetig verändern. Die „Generation Y“ hat sich längst darauf eingestellt, dass sie sich ein Leben lang stetig neue Kenntnisse und Fähigkeiten aneignen muss, um in einer sich kontinuierlich wandelnden Welt bestehen zu können.

 

Lebenslanges Lernen

 

Thomas Sapper: Auch das ist wieder etwas, was grundsätzlich sehr positiv zu sehen ist. Früher waren betriebliche Weiterbildungen für einige Beschäftigte bisweilen eine lästige Pflicht. Heute hat das lebenslange Lernen für junge Leute auch nach Ausbildung oder Studium eine hohe Priorität. Entsprechende Angebote erhöhen daher die Attraktivität eines Arbeitgebers. Natürlich steckt da auch ein Eigeninteresse dahinter, denn die jungen Fachkräfte möchten für einen Berufswechsel gewappnet sein. Gleichzeitig sind Weiterbildungsangebote aber auch ein Mittel, Mitarbeiter langfristig zu binden und ihnen eine Entwicklung im Unternehmen zu ermöglichen.

Prof. Lothar Abicht: Nicht vergessen darf man zudem, dass die fachliche Weiterentwicklung vorhandener Fachkräfte in einigen Bereichen auch schnelle und nachhaltige Lösungen bei Personalengpässen bringen kann. Mit einer Zuspitzung des Fachkräftemangels gehe ich daher davon aus, dass Unternehmen mehr und mehr auf Weiterbildungen setzen werden. Einen Teil des grundsätzlichen Problems können sie damit sicherlich lösen. Sie werden aber nicht umhinkommen, sich auch in ihrer ganzen Kultur den Anforderungen der jungen Arbeitnehmergeneration anzupassen. Wie wir bereits festgestellt haben, ist dies jedoch durchaus positiv zu sehen, weil viele Dinge mit Blick auf ein langes Erwerbsleben schlichtweg vernünftig sind.

Thomas Sapper: Ich denke auch, dass die „Generation Y“ dort, wo es bislang noch keine entsprechenden Anpassungen gab, einige Dinge in der Arbeitswelt zum Guten wendet. Sicherlich ist der Wandel zu mehr Arbeitgeberattraktivität für viele Unternehmen anstrengend, aber er lohnt sich, davon bin ich überzeugt.