BWA im Gespräch mit dem Bürgermeister von Grünheide (Mark) über die Ansiedlung des Tesla-Werkes

Interview mit dem Bürgermeister von Grünheide (Mark) Herrn Arne Christiani.

Grünheide (Mark),

„In Grünheide (Mark) wurde der Jackpot gewonnen, ohne Lotto zu spielen.“ – Diesen Satz des brandenburgischen Wirtschaftsministers Jörg Steinbach zitiert der Bürgermeister von Grünheide (Mark), Arne Christiani, sehr gern. Wir freuen uns dass Bürgermeister Christiani in einem persönlichen Gespräch mit der Leiterin der BWA-Bundesfachkommission für Fachkräftesicherung erzählt, wie sich die Region Ostbrandenburg durch die Ansiedlung des Tesla-Werkes „Giga-Factory“ zu einem Leuchtturm entwickeln wird.

 

Angela Falk:

Wo kommen die Mitarbeiter für diese Großinvestition her?

 

BM Arne Christiani:

In der ersten Ausbaustufe wird Tesla 12.000 Arbeitsplätze schaffen und in der letzten Ausbaustufe wird das Unternehmen auf die Schaffung von 40.000 Arbeitsplätzen verweisen wollen. Nur Wolfsburg wird von der Mitarbeiteranzahl größer sein. Aus einer Analyse hat sich ergeben, dass 51% der zukünftigen Mitarbeiter aus Berlin, 35% aus Brandenburg und 8% aus Polen kommen werden. Der Rest sind Weiterpendler. Wir haben es nicht geschafft, qualifizierte Arbeitskräfte in den letzten Jahrzehnten zu halten, aber wir hoffen, dass die Teslafabrik auch eine Anziehungskraft auf ehemalige Brandenburger hat, die sich nun entscheiden in die Heimat zurückzukehren. In unserer Region fehlen ganze Generationen zwischen Jung und Alt.

 

Angela Falk:

Das bedeutet, Sie brauchten ab November 2019, in dem Monat, als Grünheide (Mark) die Ausschreibung zur Ansiedlung von Tesla gewonnen hat, einen großen Plan!

 

BM Arne Christiani:

Von Februar 2020 bis zum Dezember 2020 haben wir als Gemeinde den 20 Jahre alten Bebauungsplan für die Infrastruktur und für die Verkehrsanbindung aufgrund der großen Herausforderungen geändert. Dieses „Pamphlet“ umfasst 1800 Seiten. Darin gibt es einen Fachbeitrag Verkehr. In diesem Beitrag ist eine Analyse enthalten, woher die neuen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für die Großinvestition kommen. Diese Zahlen sind auf die Endausbaustufe gerechnet. Aus dieser Analyse gehen die Zahlen hervor, die ich genannt habe.

Es gibt einem gemeinsamen Landesplan Berlin Brandenburg, in dem die Siedlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten festgeschrieben sind. Nach dem alten Landesentwicklungsplan und Baugesetzbuch hat die Gemeinde Grünheide (Mark) mit derzeit 9000 Einwohnern nur ein Entwicklungspotential von 1.000 Einwohnern. Das bedeutete, dass die Ziele des alten Entwicklungsplans nicht mehr mit den neuen Bedingungen korrespondieren.

Am 28. Mai 2020 haben der Infrastrukturminister Brandenburgs, Landrat LOS, Landrat MOL, Oberbürgermeister Frankfurt (Oder) und 13 Kommunen von Frankfurt bis Berlin, Treptow Köpenick, quer über Königs Wusterhausen bis Rüdersdorf und alle sonst an der B1 gelegenen Kommunen eine gemeinsame Erklärung unterschrieben und damit die gemeinsame Landesplanung beauftragt, ein sogenanntes Umfeldentwicklungskonzept zu erarbeiten.

Die Fragestellung war, wo passen die Ziele des Landesentwicklungsplanes nicht mehr mit der Realität zusammen. Dieses Papier wird am 31. März 2021 vom Infrastrukturminister Beermann vorgestellt. Daraus wird hervorgehen, dass die Region einen sofort verfügbaren Rahmen für Wohnungsbau von 1300 ha hat. Aber es wird sich auch herausstellen, dass es ein Zielabweichungsverfahren für die Gemeinde Grünheide (Mark) und Spreenhagen geben wird. Wir bekommen die Möglichkeit mehr Siedlungsflächen auszuweisen und zu bebauen.

 

Angela Falk:

Was schätzen Sie, wieviel Siedlungsfläche es sein wird?

 

BM Arne Christiani:

Für die Gemeinde Grünheide (Mark) gilt, wir haben 126 qkm Gesamtfläche, davon sind 95 qkm Wald, 5 qkm Wasser und ein bisschen Ackerfläche, was bedeutet, dass die bebaubare Fläche begrenzt ist. Seit 2003 besteht die Gemeinde Grünheide (Mark) aus dem Zusammenschluss von 6 ehemals selbständigen Gemeinden. Das sind jetzt die Ortsteile Grünheide (Mark), Hangelsberg, Kagel, Kienbaum, Mönchwinkel und Spreeau. Wir sind damals mit allen Gemeindevertretern und der grundlegenden Idee angetreten, wir wollen uns gemeinsam entwickeln, aber die Spezifika der einzelnen Ortsteile sollen erhalten bleiben. Dann kam der 12. November 2019 mit der Verkündung der Ansiedlung von Tesla. Daraus folgte die gemeinsame Fragestellung der Gemeindevertretung, wohin wollen wir uns unter den Bedingungen der Großinvestition Tesla entwickeln? Im letzten Jahr haben die Ortsteile in einem gemeinsamen Planungsprozess zusammengeschrieben, wo jeder Ortsteil seine Entwicklung sieht und wie neue Siedlungsflächen entstehen können.

 

Angela Falk:

Herr Christiani, Sie betonen den demokratischen Charakter dieses Planungsprozesses. Können Sie das genauer erläutern?

 

BM Arne Christiani:

Bis 2024 ist die Gemeindevertretung gewählt. Alle Ortsbeiräte haben Befragungen durchgeführt oder sind in den offenen Dialog mit den Einwohnern in ihren Ortsteilen gegangen. Dieses Papier wurde jetzt vorgestellt. Besonders die Ortsteile Hangelsberg und Kagel wollen kommunale Flächen bebauen und mehr Siedlungsfläche schaffen. Die Planungshoheit über den Zuzug hat die Gemeinde. Wir gehen davon aus, dass wir 2024 bis zu 13.000 Einwohner haben werden. Wir haben unsere Potentiale erfasst und sie mit den Einwohnern in unserer Gemeinde abgestimmt. Dafür gibt es eine Akzeptanz. Unsere herkömmliche Struktur wird nicht verändert. Das kann ich für den Zeitraum bis 2024 voraussagen. Wir werden mit dem Landkreis ein Rettungszentrum mit einem Rettungsdienststandort und Notarzt bauen. Die kassenärztlichen Vereinigungen werden durch den Zuzug mehr Fachärzte für die Gemeinde zulassen müssen. Wir haben Bedarf an medizinischen, pädagogischen und freizeitlichen Einrichtungen. Dafür brauchen wir auch das Personal. Wir freuen uns über die derzeitigen Investitionsanfragen in unserer Gemeinde.

Eine kommende Einwohnerentwicklung zieht auch die entsprechenden Infrastrukturmaßnahmen nach sich. Damit beginnen wir bereits jetzt.  An der Fangschleuse wird ein neuer Bahnhof entstehen. Derzeit werden gerade die Parkplätze gebaut. Von dem Bahnhof können die Mitarbeiter von Tesla direkt zu Fuß durch das Werktor gehen.

Frankfurter und Berliner werden den RE 1 benutzen und sind in einer halben Stunde an ihrem Arbeitsort. Wir gehen davon aus, dass diese Menschen ihren derzeitigen Wohnort nicht aufgeben werden. Aber wir hoffen, dass die jungen Menschen, die uns vor Jahren verlassen haben, mit ihren Familien zurückkommen und bei uns wieder ihre Heimat finden.

Wir haben schon jetzt einen hohen angemeldeten Bedarf am Bau von Kitas und Schulen. Wir machen das nicht selbst, aber müssen dafür die Planungsleistung erbringen.

 

Angela Falk:

Denken wir uns die Kinder vom Schulcampus mit einem Schulabschluss in der Hand schon groß. Ich habe verstanden, danach haben die jungen Menschen ihre Heimat verlassen. Damit stoppte in der Vergangenheit auch die Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens (Feuerwehr, Sportverein).

 

BM Arne Christiani:

Ja und genau deshalb sehe ich darin unseren Lottogewinn. Wir können jetzt das gesellschaftliche Leben für mehrere Generationen neu gestalten. Tesla wird selbst ausbilden und wir gehen davon aus, dass viele Schulabgänger dort einen interessanten Ausbildungsplatz finden können. Tesla wird anders aufgestellt sein, als die anderen Automobilhersteller. Hier wird die größte Batteriefabrik der Welt, von ihrer Leistungsfähigkeit betrachtet, entstehen. Sie werden selbst sehr viel produzieren, um vom Zulieferermarkt weitestgehend unabhängig zu sein. Dazu gehört u.a. eine eigene Gießerei, Lackiererei oder ein Presswerk.

 

Angela Falk:

Was hat sich für Sie persönlich seit November 2019 verändert?

 

BM Arne Christiani:

Seitdem gibt es einen Spruch im Rathaus: „Wer A sagt muss auch T wie Tesla sagen.“

 

Angela Falk:

Wenn wir jetzt schon Ende 2021 hätten, was würden Sie mir über das Erreichte mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht erzählen?

 

BM Arne Christiani:

Das ich mehrere Menschen kenne, die ihren Lebensmittelpunkt wieder hier in Grünheide (Mark) gefunden haben, einer anspruchsvollen Tätigkeit nachgehen und das gesellschaftliche Leben aktiv mitgestalten. Ein großer Erfolg wäre es, wenn wir es schaffen, unsere Gemeinde wieder zu verjüngen und unser Vakuum zwischen den Generationen zu füllen. Der Produktionsstart wird Mitte des Jahres 2021 mit 6.500 Mitarbeitern beginnen. Aber den Zuzug wird es noch nicht geben. Vielleicht wachsen wir in diesem Jahr auf 10.000 Einwohner. Aber auf diese Zahl will ich mich noch nicht festlegen. Wir haben die Bebauungsflächen identifiziert, aber es muss auch gebaut werden. Das braucht Zeit.

 

Angela Falk:

Was hat Grünheide (Mark) aus der verpassten BMW-Ansiedlung von 2001 gelernt?

 

BM Arne Christiani:

Darüber können wir uns gern das nächste Mal unterhalten, denn damals hätten wir die Wünsche des Investors, die weichen Standortfaktoren, nicht stemmen können. Wir haben aus den Erfahrungen von 2001 gelernt und machen nun seit November 2019 jeden Tag neue Erfahrungen. Es ist ein stetiger gemeinsamer Lernprozess aller Akteure.

 

Angela Falk:

Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Christiani. Ich freue mich auf die Fortsetzung.

 

Falk und Christiani
Angela Falk und Arne Christiani