Berlin / Shanghai,
In wenigen Tagen wird der BWA ein neues Büro in Shanghai eröffnen. Während andere sich aus China zurückziehen, verstärkt der BWA seine Präsenz vor Ort und wird erstmalig nach dem Ende der Corona-Pandemie wieder mit einem mehrköpfigen Team in der chinesischen Wirtschafts- und Finanzmetropole am Huangpu-Fluss vertreten sein. Zeit für einen Rückblick auf mehr als zwei Jahrzehnte deutsch-chinesischer Wirtschaftsförderung, die den BWA mit China verbinden.
Die Anfänge: Ein Plädoyer für eine weltweite ökosoziale Marktwirtschaft
2003 gegründet, zählte der BWA zu den ersten Wirtschaftsverbänden in Deutschland, die sich zum Konzept einer ökosozialen Marktwirtschaft bekannten, ein Konzept, das Nachhaltigkeit und Umweltschutz und einen Ausgleich zwischen ökonomischen und ökologischen Zielsetzungen in der Wirtschaft befürwortet. Damit einher ging ein neues Verständnis von Außenwirtschaft, das für eine Neugestaltung der Globalisierung auf Basis respektvoller, nachhaltiger und wechselseitig bereichernder Beziehungen zwischen entwickelten und sich entwickelnden Ökonomien eintrat.
Mit diesem Ansatz stieß der BWA bei Gesprächspartnern in und aus China auf großes Interesse. Es kam zu ersten nachhaltigen Austauschen von beiden Seiten, die sich mit dem Antrittsbesuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in China 2006 und der durch ihn ausgelösten neuen Aufmerksamkeit auf China in der deutschen Wirtschaft weiter vertieften. Mitgliedsunternehmen des BWA, die in China schon vertreten waren, nahmen für den Verband vor Ort Repräsentanzfunktionen war.
Aufbruch und Ankommen: Die Weltausstellung 2010 in Shanghai
Mit der EXPO 2010 in Shanghai erfuhren die China-Beziehungen des BWA einen neuen Schub. Der Verband war im Vorfeld eingeladen worden, unter seinen Mitgliedsunternehmen Innovationen auszuwählen, die in einem eigenen Pavillon der Weltausstellung vorgestellt werden sollten. Von Mai bis Oktober 2010 begleiteten Vertreter des BWA die Weltausstellung vor Ort und führten hunderte von Gesprächen mit chinesischen Besuchern, die an Beziehungen nach Deutschland und Verbindungen zu deutschen Unternehmen Interesse zeigten.
Die dort geknüpften Kontakte führten bereits in den ersten Wochen der EXPO zur Ausrichtung von Delegationen mit Unternehmensvertretern beider Seiten ins jeweils andere Land. Auf der EXPO ausgesprochene Einladungen chinesischer Gäste, ihre Städte und Betriebe zu besuchen, wurden in den Monaten darauf zeitnah wahrgenommen, und in Anbetracht vieler positiver Erfahrungen beschloss der Vorstand des BWA, im Folgejahr ein festes Büro in Shanghai zu errichten, das dann im Herbst 2011 unter Leitung von Michael Schumann die Arbeit aufnahm (https://bit.ly/4dLeqh1).
Ausbau und Vertiefung: Delegationsreisen, Konferenzen, Begegnungen
In den nächsten Jahren führte der BWA dutzende von Delegationen deutscher Unternehmen und Experten nach China, aus denen zahlreiche Projekte entstanden und flankierte zunehmend auch chinesische Delegationen in Deutschland bei Ansiedlungen und Investitionen. Einen Schwerpunkt bildete anfangs die damals 32 Millionen Einwohner zählende Stadt Chongqing, die mit deutscher Expertise den Aufbau eines nachhaltigen Industrieparks plante (https://bit.ly/47bnHwl).
Es folgte eine mehrjährige Zusammenarbeit mit der chinesischen Stadt Suzhou bei der Errichtung der Nanopolis, eines nationalen Zentrums für Nanotechnologie, sowie der Etablierung der CHInano, einer jährlichen Fachkonferenz und Messe, die unter Mitwirkung des BWA schnell an Bekanntheit gewann und internationalen Zuspruch fand (https://bit.ly/4e99hPX).
In dieser Zeit flankierte der BWA zahlreiche bestehende deutsch-chinesische Städtepartnerschaften, half, neue Partnerschaften anzubahnen, und unterstützte mit seinem dynamisch wachsenden Netzwerk in China auch Begegnungen deutscher Politiker mit chinesischen Bürgermeistern, Parteisekretären und Gouverneuren.
So organisierte er die erste China-Reise seines Ehrenpräsidenten, des vormaligen ostdeutschen Ministerpräsidenten und gesamtdeutschen Bundesministers a.D., Dr. Lothar de Maiziére, die zu einem jahrelangen Wirken de Maiziéres für die deutsch-chinesischen Beziehungen führte.
Schon bald war der BWA in vielen chinesischen Städten aktiv, führte seine Mitgliedsunternehmen dort ein und half der chinesischen Seite, Brücken nach Deutschland zu bauen. Zu Beijing, Shanghai, Chongqing und Suzhou gesellten sich schnell weitere Metropolen hinzu wie Dezhou, Chengdu, Guangzhou, Guiyang, Harbin, Jiangyin, Jiaxing, Jinan, Huai’an, Lianyungang, Nanjing, Nanning, Panjin, Shenzhen, Shenyang, Qingdao, Urumuqi, Wuhan, Wuxi, Xi’an oder Zhangjiagang.
Auch chinesische Unternehmen und Medien wurden schnell auf den neuen Verband aufmerksam, der auf pragmatische und unkonventionelle Weise effizient bei Anliegen in Deutschland helfen konnte. Namhafte Konzerne wie Alibaba, Dahua, Fosun, Geely, Gotion, Haier, Huawei, Nio, Positec oder Zongshen nahmen die Unterstützung des BWA für ihre Expansion nach Deutschland in Anspruch. Parallel dazu begann Michael Schumann, Trends und Nachrichten aus Deutschland regelmäßig für ein chinesisches Publikum zu erklären und zu kommentieren – im chinesischen Fernsehen und anderen Medien –, was die Bekanntheit des BWA in China weiter steigerte.
Im Frühjahr 2016 erhielt der BWA nach einem Treffen Michael Schumanns, mittlerweile Mitglied des Vorstands des Verbandes und weiterhin für dessen China-Aktivitäten zuständig, mit Lu Ming, einem Direktor der Staatlichen Verwaltung für die Angelegenheiten ausländischer Experten in Beijing (SAFEA), die Chance, neben der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (giz) eine Akkreditierung als offizieller Partner der SAFEA zur Unterrichtung chinesischer Trainingsgruppen aus Wirtschaft und Verwaltung zu erlangen (https://bit.ly/4giFq9A).
Nach erfolgreichem Durchlaufen eines mehrstufigen Audits wurde der Verband lizensiert, und die Bundesgeschäftsstelle des BWA in Berlin entwickelte sich rasch zu einem beliebten Anlaufpunkt chinesischer Delegationen, die mehr Deutschland-Kompetenz erlangen wollten. Viele Unternehmer und Experten aus den Reihen der Verbandsmitglieder profitierten ebenso von den Programmen wie die Gäste aus China und machten bei Vorträgen und Schulungen erste Begegnungen mit Vertretern aus dem Reich der Mitte. Die Anzahl der Gruppen steigerte sich stetig, 2019 fanden über den BWA mehr als 70 Delegationen aus China den Weg nach Deutschland.
Erkenntnisse und Einsichten: Zwei Länder, die viel voneinander lernen können
In der Förderung des wirtschaftlichen Austauschs zwischen Deutschland und China und den vielen Begegnungen zwischen Menschen beider Länder, die der Verband initiierte, kristallisierten sich mit der Zeit Einsichten und Erkenntnisse heraus, die die weitere Arbeit des BWA auf dem Thema leiten sollten. Während chinesische Unternehmer auf ihren Deutschland-Besuchen vor allem von Deutschen lernen wollten, entdeckten deutsche Unternehmer in China viele Innovationen und Vorzüge der dortigen Kultur, die ihr Blick auf das Land veränderten. Einige Begegnungen verliefen holprig, manche auch schwierig, aber in der Regel ergänzte man sich gut.
Dabei zeigte es sich immer wieder, dass Deutsche und Chinesen viel voneinander lernen können, wenn sie einander respektvoll begegnen und sich die Zeit nehmen, den kulturellen Hintergrund der jeweils anderen Seite selbst in Augenschein zu nehmen, und dass es für die Überwindung von Vorurteilen und Missverständnissen hilfreich ist, Hindernisse, die Begegnungen erschweren, aus dem Weg zu räumen – wie etwa die restriktive Vergabe von Visa durch die deutschen Auslandsvertretungen, auf deren Problematik der BWA schon früh hinwies (https://bit.ly/4g7ggKQ). Eine weitere Erkenntnis bestand darin, dass Vertreter deutscher Unternehmen, die häufig nach China reisten oder vor Ort eigene Niederlassungen unterhielten, in der Regel über mehr Landeskompetenz verfügten als Vertreter aus Politik und Medien, die das China-Bild in Deutschland prägten.
In der Folge förderte der BWA aktiv die Entstehung weiterer Plattformen und Formate der deutsch-chinesischen Begegnung und unterstützte diesbezügliche Initiativen seiner Mitglieder. Ein Neujahrsempfang des Verbandes 2014 mit dem früheren Bundeswirtschaftsminister und nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement gab den Anstoß zur Gründung einer Deutsch-Chinesischen Industriestädteallianz, die sich in den Jahren darauf mit mehr als 30 deutschen und chinesischen Mitgliedsstädten zu einer wichtigen Plattform der kommunalen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China entwickelte.
Im Herbst 2019 gründete Michael Schumann, inzwischen Vorstandsvorsitzender des BWA, in den Räumen der BWA-Bundesgeschäftsstelle gemeinsam mit dem ehemaligen Bundesinnenminister und Bundestagsvizepräsidenten Dr. Hans-Peter Friedrich die „China-Brücke“ als unabhängige und überparteiliche Dialogplattform für einen konstruktiven Umgang mit China in der deutschen Politik und Öffentlichkeit (https://www.china-bruecke.org/). Ihr gehören führende Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft an, die durch jahrelange Erfahrung mit China über fundierte Kenntnisse zu China und ein exzellentes Netzwerk in China verfügen.
Beistand in schweren Zeiten: Die Corona-Pandemie
Der Ausbruch der Corona-Pandemie Anfang 2020 bedeutete für die Arbeit des BWA in und mit China eine große Zäsur. Die gewachsenen Verbindungen und Freundschaften zu chinesischen Partnern sollten sich jedoch für beide Seiten als tragfähig und hilfreich erweisen. Zu Beginn des Ausbruchs in Wuhan setzte sich der BWA mit Nachdruck und erfolgreich in der deutschen Öffentlichkeit und bei seinen Mitgliedsunternehmen dafür ein, den betroffenen Menschen in China Beistand zu leisten (https://bit.ly/4dK6nBi). Er organisierte Hilfslieferungen medizinischer Güter und engagierte sich als Co-Veranstalter eines Benefizkonzertes in der Berliner Gedächtniskirche.
Als wenige Monate später China die Pandemie weitgehend unter Kontrolle hatte, während sie nun in Europa wütete und Schutzkleidung und Atemmasken in Deutschland Mangelware waren, startete der Verband einen erneuten Aufruf, diesmal unter seinen Mitgliedsunternehmen und Partnern in China, Deutschland medizinische Hilfsgüter zu spenden. Die Resonanz war überwältigend und sorgte dafür, dass der Verband vielen Krankenhäusern, Altenheimen und Schulen in Deutschland dringend benötigte Schutzmasken zukommen lassen konnte. Wechselseitiger Beistand in schweren Zeiten als Ergebnis langjährigen freundschaftlichen Engagements – eine der positivsten Erfahrungen aus jener Zeit beim BWA, der in jenen Tagen eher einem Logistikunternehmen für Hilfslieferungen als einem Wirtschaftsverband glich.
Trotz dieser Hoffnung spendenden, gegenseitigen Hilfe Anfang 2020 war mit fortschreitender Ausbreitung der Pandemie und zunehmender Abschottung Chinas eine physische Präsenz des Verbandes vor Ort nicht aufrecht zu erhalten. Es folgten drei schwierige Jahre, in denen die Betreuung bestehender Projekte des BWA im Land nur mittels Videokonferenzen erfolgen konnte.
Herausforderungen und Anfeindungen: Die neue Polarisierung
Dieser Zeitraum ging einher mit einer zunehmenden Verschlechterung der Beziehungen zwischen China und Teilen der 2021 ins Amt gewählten neuen deutschen Bundesregierung, die sich unter dem Eindruck wachsender geopolitscher Spannungen zwischen China und den USA und nach Beginn des Krieges in der Ukraine am 24. Februar 2022 noch einmal verstärkte.
Die mediale Berichterstattung über China in Deutschland, die auch in den Jahren zuvor mehrheitlich von Unkenntnis, Klischees und Vorurteilen geprägt worden war, drehte deutlich ins Negative, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und Deutschland wurden politisiert, polarisiert und skandalisiert, und auch der BWA sah sich in diesem Zusammenhang Anfeindungen ausgesetzt, wurde als Instrument unlauterer chinesischer Einflussnahme oder Vorfeldorganisation der chinesischen Regierung von Journalisten angegriffen und verunglimpft (https://bit.ly/477TyhA).
Inmitten all der neuen Aufgeregtheit positionierte sich der Verband in der China-Diskussion jedoch weiterhin als Stimme der Vernunft, aufbauend auf seiner langjährigen und umfassenden Erfahrung und auf dem Sachverstand seiner Mitgliedsunternehmen und Experten. Seinem integrativen Ansatz treu bleibend, warb er für Deeskalation und Verständigung, die Korrektur von Fehlannahmen durch eigene Anschauung, und nahm auch deutlich Stellung zu Unzulänglichkeiten deutscher China-Politik bspw. in der China-Strategie der Bundesregierung (https://bit.ly/3OcJcFc).
Öffnung und Wiederannäherung: 21 Städte in 6 Wochen und ein neues Büro
Als Versuch einer ersten Wiederannäherung nach der Öffnung Chinas Anfang 2023 entschloss sich der BWA-Vorstandsvorsitzende Michael Schumann zu einem ungewöhnlichen Schritt.
Er bereiste Mitte Juli 2023 in einer sechswöchigen China-Reise 21 Städte, mit denen der BWA in der Vergangenheit gearbeitet hatte, und führte zahlreiche Gespräche mit Vertretern von Unternehmen und Institutionen, Think Tanks, Professoren und Studenten, mit Künstlern, Journalisten und einfachen Menschen, um sich ein eigenes Bild von China nach der Pandemie zu bilden.
Bevor er nach Berlin zurückflog, sprach er als erster Studiogast aus Deutschland nach der Pandemie in der Talkshow der bekannten chinesischen Fernsehmoderatorin Liu Xin über seine Erfahrungen und die Verständigung zwischen China und Deutschland (https://bit.ly/4e4m71K).
Nicht zuletzt die bei dieser Reise gewonnen Eindrücke bewogen den BWA, seine Repräsentanz in China wieder zu eröffnen. Ein neuer, repräsentativer Standort im Shanghaier Stadtteil Hongkou war schnell gefunden, doch die offizielle Registrierung als ausländische Nichtregierungsorganisation nahm noch einige Zeit in Anspruch.
Ende Februar 2024 erhielt der BWA dann seitens der zuständigen Behörden in Shanghai seine offizielle Akkreditierung als ausländisches NGO. Jun Zuo, Chefrepräsentant und gesetzlicher Vertreter des BWA in China, nahm die Zulassungsurkunde bei einer Übergabezeremonie im Administrative Office of Overseas NGOs der Stadt Shanghai entgegen.
Ausblick: Wirtschaftsdiplomatie als Antwort auf Krisen
Mit seiner neuen Präsenz in Shanghai, die am 20. September offiziell eröffnet werden wird, wird sich der BWA auch in Zukunft dafür einsetzen, die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen, das gegenseitige Lernen voneinander und das gegenseitige Verständnis füreinander nachhaltig zu fördern. Er wird sich weiter für einen konstruktiven Umgang mit China stark machen, der Probleme nicht ausblendet, aber dem Verbindenden vor dem Trennenden den Vorrang gibt, und er wird weiter auf das integrative Potenzial setzen, das in wirtschaftlichem Austausch liegen kann.
In einer Welt voller Krisen und Konflikte braucht es mehr Kooperation statt Konfrontation, mehr Engagement statt weniger, mehr Begegnung und Verständnis auf der Ebene von Menschen, die sich aufeinander beziehen können, auch wenn sie in unterschiedlichen politischen Systemen leben. Auf diese Weise leistet Wirtschaftsdiplomatie, so wie der BWA sie versteht, einen Beitrag zur Friedenssicherung und zur Gestaltung einer integrativen und kooperativen Welt von morgen (https://bit.ly/479di4i).